Anfang der 80er Jahre ist mir mal eine Schutzbrille zum Glasschleifen kaputt gegangen,
was ich mit einer Lötnaht repariert habe.
Daraufhin hab ich öfter mal ein altes Brillengestell umgebaut bzw. aufgemotzt.
Zufällig hatte ich damals auch farbiges Flachglas, welches glatt genug war,
dass man gut hindurchschauen konnte.
Erst als es alle war, bemerkte ich mit bedauern, dass solches Glas nirgends mehr zu finden war.
Im Oktober 1998 erst gelang es mir mit etwas Glück eine neue Quelle aufzutun,
so dass ich im Winter 98/99 zwölf neue Augengläser machen konnte.
Ein Jahr später hab ich nochmal vier gemacht und seitdem fast überall, wo ich hinkam,
die Leute damit fotografiert.
*
*
*
Nachdem ich im Frühjahr 1999 auf Berliner Strassen eine Fotoserie von vorbeikommenden Passanten
mit meinen
Brillen gemacht hatte, kam ich auf die Idee
für meinen ersten Kalender.
Es fiel mir sehr schwer mich bei der Auswahl aus über 100 Fotos auf 12 zu beschränken.
Handgemacht und signiert mit 12 Originalfotos in 20x30cm bot ich ihn für 100 DM an.
Titel war: "Blick ins neue Jahrtausend."
10 DM von jedem verkauften Kalender gingen an die Blindenarbeitshilfe Hessen e.V.
*
*
*
Da der Erfolg des ersten Kalenders mehr als bescheiden war, habe ich im Herbst 2000 Leute
fotografiert,
die in unserer Region etwas bekannter waren und noch ein paar alte Fotos
von bereits verstorbenen
Lokal-Berühmtheiten dazugenommen.
Für das Jahr 2001 hab ich dann einen Kalender mit 12 Originalfotos von Darmstädter Gesichtern,
die meine Brillen trugen, herausgegeben.
Der Titel war: "Darmstädter blicken ins neue Jahrtausend."
Auch dieses Mal waren wieder 10 von 100 DM jedes verkauften Kalenders für die
Blindenarbeitshilfe Hessen e.V.
*
*
*
Um einen Brillenkalender über die Grenzen Darmstadts hinaus anbieten zu können, hatte ich die Idee,
Leute zu fotografieren, deren Bekanntheit über Südhessen hinausreicht.
Es könnten z.B. Politiker sein, Sportler oder Künstler, wie Schriftsteller, Musiker, Maler, Bildhauer
oder Schauspieler.
Der Bezug von Künstlern, deren Werk über das Auge wahrgenommen wird, zu einer Sache,
welche ein kleiner Funke werden könnte, die Zahl der Sehbehinderten vielleicht ein wenig zu verringern
ergibt sich automatisch.
Jeden Künstler, der etwas fürs Auge schafft, müsste es doch traurig machen, dass es recht viele gibt,
die dieses Seherlebnis nicht mit andern teilen können.
Dann bekam ich den Tip, doch mal auf dem alljährlich
im Bayerischen Hof in München
stattfindenden Filmball mein Glück zu versuchen.
Dass aus diesen Bildern kein
Kalender geworden ist, hat mehrere Gründe.
Durch den dort herrschenden Trubel hatte ich nicht so die Gelegenheit,
jedem der Fotografierten lang und breit
die Hintergründe meines Wunschs nach einem Foto zu erklären.
So kurz wie sie stehenblieben, so schnell waren sie wieder weg.
Viele, vor allem Frauen, liessen sich erst
gar nicht ablichten, so ohne zu wissen zu welchem Zweck und für welches
Honorar. Von denen,
die sich fotografieren liessen, kannte ich fast keine, wie man unten sehen kann.
Um nun die gemachten
Fotos für einen Kalender zu verwenden, hätte ich auch noch jeden um sein OK bitten
müssen.
Aber da ich von denen, deren Namen mir bekannt waren, hierfür weder Telefonnummer noch Anschrift
zur Verfügung hatte,
war das recht schwierig, ganz zu Schweigen von denen, deren Namen ich nicht wusste.
Aber vielleicht ergibt sich eines Tages eine andere Möglichkeit mit besseren Bedingungen,
an einem Ort,
an welchem ich meine Brillen nicht bewachen muss wie ein Dobermann.
Zwei meiner Brillen haben in dem Gedränge und Geschiebe dieser Nacht Füsse bekommen.
*
*
*
Nachdem aus meiner Idee des Kalenders mit den Berühmtheiten nichts geworden ist,
mussten wieder
die Darmstädter herhalten.
Sie blickten jetzt nicht mehr ins neue Jahrtausend, sie blickten jetzt nach vorn.
Jedes Exemplar war wieder signiert, datiert und nummeriert.
Statt 100 DM kostete er jetzt 50 EUR, wovon auch dieses Jahr wieder 10% an die
"Blindenarbeitshilfe Hessen e.V." gingen.
Um die armen Darmstädter nicht noch ein drittes Mal mit meinen Fotokalendern zu beglücken,
beschloss ich,
dass im nächsten Jahr eine Nachbarstadt dran glauben muss.
*
Diese Fotos zu machen, hat ziemlich lange gedauert.
In Frankfurt hatte fast jeder nur wenig oder gar keine Zeit.
Hab viel Zeit mit telefonieren und Briefe schreiben zugebracht.
Am 7.September 2002 hatte ich endlich meine zwei letzten Aufnahmen gemacht.
Zur gleichen Zeit, als zum 7.ten Mal der Frankfurter Stadtlauf "LAUF FÜR MEHR ZEIT" stattfand.
Im Rahmen dessen ist mir auch Daniel Cohn-Bendit über den Weg gelaufen.
Da mir zu diesem Zeitpunkt immer noch ein Bild fehlte, fragte ich auch ihn,
ob ich ihn denn für meinen
Kalender knipsen dürfte.
Er hatte leider keine Zeit,
er hatte es eilig und musste weg, um den Startschuss zu geben für
den LAUF FÜR MEHR ZEIT.
Auch dieser Kalender war wieder für 50 EUR zu haben, jedes Exemplar enthielt 12 Originalfotos in 20x30 cm,
war wie immer signiert und nummeriert und auch dieses Mal waren wieder 5 EUR von jedem verkauften
Kalender
für die Blindenarbeitshilfe Hessen e.V.
Trotz Presseunterstützung und 5000 Werbepostkarten, die ich in Frankfurt verteilte, war die chronische Erfolglosigkeit meines Kalenders so enttäuschend, dass dies der letzte Kalender werden sollte.
*
Nachdem ich meine Kalender-Projekte für gescheitert betrachtete, konnte ich immerhin ein paar meiner Brillen verkaufen, so befinden sich heute drei davon in der Privatsammlung von Lotte Reimers aus Deidesheim an der Weinstrasse, eine befindet sich im Leipziger Grassi-Museum.
Zitat . . .
Die Wirklichkeit dieser Welt hängt immer von der Brille ab,
mit der man sie betrachtet.
Durch die rote Brille kann man das Grün nicht sehen und durch die Gelbe nicht das Blau.
So wie die Regenbogenfarben zusammen weisses Licht ergeben ist die Wahrheit
wohl die Summe
aller Wirklichkeiten.
Nicht Jesus oder Mohammed sind die Wahrheit (Gott?) sondern
Jesus und Mohammed
und alles andere im Universum zusammen sind es.
Auch Du und der Hund deines Nachbarn,
jeder Wassertropfen im Ozean und jeder Kaugummi
auf Kölns Strassen gehören dazu und sind
gleichzeitig
auch selbst schon alles, wenn man davon ausgeht das alles ein Teil
von allem ist und das alles sich in
allem wiederfindet,
oder so ähnlich . . . stimmt's Peter ?
. . . . . Helga Schneider